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2009-11-29 13:11 (Kommentare: 0)
Fußball ist Opium fürs Volk. Diesen Spruch habe ich in den vergangenen zwei Wochen öfter gehört. In Ägypten gibt es seit dem WM-Qualifikationsspiel gegen Algerien kaum ein anderes Thema als Fußball.
Tagelang war Kairo in einer Art Ausnahmezustand nach dem Entscheidungsspiel im Sudan, das Ägypten mit 1-0 verloren hatte. Am Mittwochabend, nach dem verlorenen Spiel, waren Kairos Straßen wie leergefegt.
Doch dann, am Donnerstagabend, entlud sich der ganze Frust einer Nation auf den Straßen. Angestachelt durch Medienberichte, in denen von brutalen Übergriffen algerischer Fans auf Ägypter nach dem Spiel in Khartoum berichtet wurde, strömten die Massen auf die Straßen. Ihr Ziel: die algerische Botschaft auf der Halbinsel Zamalek.
Meine Wohnung liegt nur einige hundert Meter entfernt von der Botschaft. Seit zwei Wochen ist dort die Polizeipräsenz enorm.
Die Demonstranten zogen durch die Straßen, mit Flammenwerfern, Fahnen und lautem, wütendem Gesang. Tausende Menschen legten die ganze Nacht die Hauptverkehrsader der Insel lahm. Das Erstaunlichste daran war, dass die Polizei stundenlang die Menschen gewähren ließ. In Ägypten wird sonst jede kleinste Demonstration von Heerscharen von Polizisten innerhalb von kürzester Zeit aufgelöst. Präsident Hosni Mubarak regiert Ägypten seit fast 30 Jahren unter einem Notstandgesetz, das unter anderem Versammlungen von mehr als fünf Personen verbietet.
Offenbar hat auch die Regierung verstanden, dass Fußball Opium fürs Volk ist und ein geeignetes Mittel, um angestautem Frust über die eigene Situation ein geeignetes Ventil zu geben. Gegen die Algerier dürfen die Ägypter gerne auf die Straßen ziehen - nur halt nicht gegen die eigene Regierung.
Doch irgendwann wurde es der Polizei offenbar zu bunt. Gegen halb drei Uhr nachts wurden die Demonstranten aggressiver und die Polizei auch. Vor meinem Haus brannte ein Mannschaftswagen, mehrere Autos wurden zerstört und Schaufensterscheiben eingeschlagen. 34 Menschen sollen verletzt worden sein. Die Polizei verwandelte danach mein Viertel tagelang in eine Militärzone. Nur wer hier wohnt bekam die Genehmigung, durch die Straßen zu laufen, die fast gespenstisch still waren. In Kairo, wo etwa 20 Millionen leben, ist man selten allein auf den Straßen, noch nicht mal mitten in der Nacht. Dank eines Fußballspiels habe ich so ruhig wie selten zuvor in Kairo geschlafen.
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