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2011-11-01 12:31 (Kommentare: 0)
Wie sehr die unvollendete Revolution, die am 25. Januar ihren Anfang nahm, in das kollektive Unterbewusstsein aller eingedrungen ist, die diese Tage, Wochen und Monate miterlebt haben, merkte ich neulich wieder.
Ich saß in einem abgedunkelten Vorführraum in Goethe-Institut, wo zum dritten Mal das „Arab Shorts Filmfestival“ stattfand. Um mich herum saßen Ägypter und Ausländer, und alle schauten gebannt auf die Leinwand. Dort liefen Bilder, die mir den Atem stocken ließen. Verzerrte Videoaufnahmen, in einiger Distanz aufgenommen, von Menschen, die in Panik eine Straße entlanglaufen. Gesichter sind nicht auszumachen, aber die Angst ist trotzdem in jedem Moment spürbar. Einige stolpern, werden von Nachkommenden überrannt, rappeln sich auf, laufen weiter. Andere stürzen und bleiben liegen. Sie werden nie wieder aufstehen. „Manche der Menschen in diesem Filmmaterial kamen zurück nach Hause - andere nicht“, sagt die Stimme aus dem Off, während die Szenen immer wieder abgespielt werden. Wieder andere heben die Arme, rufen laut etwas, dass nicht zu verstehen ist, drehen sich um, schauen provozierend in die Richtung, aus der die Menschen flüchten. Dort steht das Militär und schießt scharf in die Menge.
Wir alle kennen diese Szenen. Wir haben sie entweder selbst miterlebt auf den Straßen Ägyptens oder sie am Bildschirm live verfolgt. Doch die Bilder auf der Leinwand im Goethe-Institut stammen nicht aus Ägypten. Auch nicht aus Syrien, Bahrain oder Jemen. Diese Bilder stammen aus Iran und sind über 30 Jahre alt.
Dieser Ausschnitt, weniger als eine Minute lang, der Teil der Dokumentation „Into Thin Air“ von Mohammadreza Farzad ist, dokumentiert das Massaker an Demonstranten am 8. September 1979 auf dem Jaleh Platz in Teheran. Jaleh oder Tahrir – die Bilder gleichen sich auf erschreckende Weise. Dann plötzlich hören wir Schreie, die von der Straße vor dem Institut kommen. Laute Schreie, wie bei einem Kampf. Und nicht nur ich schrecke hoch und schaue besorgt zum Fenster. Beklemmung macht sich breit, denn nur wenige Schritte vom Goethe-Institut entfernt liegt der Tahrir-Platz. Dort, wo in diesem Moment die Schreie zu hören sind, starben in den vergangenen Monaten hunderte Menschen. Gepaart mit den Bildern auf der Leinwand spüre ich sofort die Sorge, dass sich dort draußen erneut etwas anbahnt. Dieser Abend hat mir zweierlei gezeigt: dass sich Geschichte wirklich immer wiederholt und das wir alle noch lange nicht verarbeitet haben, was in diesem Jahr in der arabischen Welt geschehen ist.
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